
"Marschmusik was my first love." ist wohl eine der meistzitierten Aussagen von Westbam. Gut, warum auch nicht, das "bam bam bam" findet man darin auf jeden Fall auch. Doch nicht nur Marschmusik hat ihn als Kind antiautoritärer Hippie-Eltern fasziniert, auch Hörspiele. Nicht etwa wegen der Geschichten, sondern wegen der Geräuschcollagen. Was man darin erkennt, zieht sich durch seine gesamte Autobiografie: Weniger die Musik als solches, die Musik um ihrer selbst Willen war es, was seinen Werdegang bestimmt hat, was ihn gereizt hat, sondern vielmehr das, was man damit machen kann und was daraus resultiert.
Sein Buch "Die Macht der Nacht" erzählt von den Eckdaten seines Lebens, die Kindheit in Münster in der bildungsbürgerlichen Hippiefamilie, die Punkjugend, die ersten Plattenkäufe in Berlin sowie die ersten Gigs, Partys, Drogen, Freundschaften. Gleichzeitig aber erzählt es auch die Geschichte der elektronischen Musik: wie New Wave in den Clubs lief, die ersten Platten gemixt statt lediglich aneinandergereiht wurden, wie der House aus Chicago nach Deutschland schwappte und wie der Rave in den 1990ern gesellschaftsfähig wurde.
Wir haben im Vorfeld zu unserem Geburtstags-Abend mit Maximilian Lenz über sein Buch "Die Macht der Nacht" gesprochen. Außerdem darüber, was es heißt, als Techno-Ikone älter zu werden, und warum Bildung wichtig ist:
Was ich mich beim Lesen deines Buches gefragt habe; vor allem an der Stelle, an der du davon schreibst, dass deine Tapes in Goa gespielt wurden; wie fühlt sich das an bzw hat es sich angefühlt, zu wissen, dass man überall auf der Welt gespielt wird, dass man etwas hinterlassen hat?
Also in dem Fall finde ich es einfach lustig. Das sind ja wirklich so indirekte Effekte, ich fühle mich ja so gar nicht als der Godfather of Goa-Trance. Ich finde eigentlich auch, das ist so eine Welt für sich. Die habe ich erst Jahre später wahrgenommen, dass es da so Hippies gibt. Leute erzählen einem Anekdoten, wie es in Goa war, man selber ist nie da gewesen, aber man kannte die Leute, die da jedes Jahr überwintert haben, und die hatten meine Tapes dabei. Dass das dann da so einen Einfluss hat, ist für mich einfach eine lustige Geschichte. Aber nichts wo ich sagen würde "Meine Güte, wie einflussreich bin ich".
Gleich noch mal eine ähnliche Frage, '88 bei den Sommerspielen in Südkorea warst du mit 23 Jahren als "offizieller deutscher Kulturbeitrag" . Im Buch kam für mich als Leser bezüglich solcher Dinge recht wenig Emotion rüber, was ging denn in dir vor? Du bist ja relativ viel rumgekommen, in dem jungen Alter.
Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber es ist ja nicht so, dass man dann in dem Moment denkt "Meine Güte, wie historisch" oder so. So richtig wundern tut es einen eigentlich nicht. Natürlich denkt man "Wow, toll". Ich muss auch sagen, ich war quasi Teil des Kulturbeitrags. Der ganze Kulturbeitrag war diese Kunstdisko. Da gab es exklusive Musik, da waren auch viele Leute, die dann später die großen Technohelden waren. Moritz von Oswald zum Beispiel. Ich fand das damals einfach toll, und sehr fortschrittlich, dass Deutschland über das Goethe-Institut so ein Konzept vorgelegt hat, weil es ansonsten tatsächlich sehr konservativ war. Die Russen haben das Bolschoi Ballett geschickt. Die Deutschen haben die Kunstdisko gemacht, das fand ich modern. Weil DJs Ende der 80er natürlich nicht das große Thema waren, was sie heute sind.
Du hast alles irgendwie beobachtet. Aber was das so in dir ausgelöst hat..
Ja okay, das habe ich schon ein paar Mal gehört. Dieses Buch handelt sehr stark von Beobachtung, das stimmt. Tatsächlich nicht so viel... also ich denke an entscheidenden Stellen, wo es mich besonders betrifft, dass da schon auch meine Gefühle rüberkommen, aber ich finde es eigentlich langweilig, wenn ein Mensch die ganze Zeit über seine Gefühle redet. Die sind entweder positiv oder negativ. Da gibt es nicht so viele Schattierungen. Was ist ein Mensch - ein Mensch ist das, was er erlebt. Wir sind die Summe unserer Erinnerungen und Erlebnisse. Das macht eigentlich einen Menschen aus, meiner Meinung nach. Wenn jemand erzählt, woran er sich erinnern kann und wie sich das in seiner Erinnerung darstellt, ist das für mich ein perfektes Bild eines Menschen. Weil das für mich die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht: wie hat dich das geprägt. Gedächtnis ist ja auch... Man sagt ja immer "das war wahrscheinlich alles gar nicht so." Die Gedächtnisleistung ist auch immer ein kreativer Prozess, weil du das aufnimmst, was für dich wichtig ist. Und so, wie du das weiter prozessierst, erfindest du eigentlich deine eigene Persönlichkeit. In dem Sinne finde ich zum Beispiel mein Buch sehr persönlich, denn das ist das, was ich bin.
Du wirst auch ganz gerne mal als der "Philosophen-DJ" bezeichnet, was hat es denn mit diesem Titel auf sich?
Was ich jetzt dazu sagen kann, ich war zum Beispiel mal in Philosophie eingeschrieben, als junger Student und DJ. Und wenn jemand ein Buch schreibt, das ist ja jetzt schon mein Zweites... das machen nun auch nicht unheimlich viele DJs. Und wahrscheinlich ist DJ auch so ein Beruf, wo man schnell Philosoph ist, wenn man nicht aufs Maul gefallen ist. Die meisten DJs sind ein bisschen aufs Maul gefallen.
Zu deinem Studium; du warst zu Beginn in Berlin ja auch eingeschrieben, Theologie glaube ich, hattest du wirklich vor, zu studieren?
Nee, also ganz ehrlich, ich war da immer so 'ne Karteileiche. Ich fand es lustig, für katholische Theologie eingeschrieben zu sein, ich war aber nie da und hatte auch nie wirklich vor, das zu studieren, muss ich ehrlich zugeben.
Bereust du das manchmal? Hättest du rückblickend gerne studiert?
Die Tage dachte ich plötzlich "Alter, du musst deinen Doktor machen". Ich hatte eine Idee für eine Doktorarbeit, dann habe ich mich kurz im Internet schlaugemacht und dachte "Oh nein, dafür muss ich ein abgeschlossenes Studium haben. Das möchte ich nicht." (lacht)
Ich komme ja aus einem Akademikerhaushalt, ein Kind des Bildungsbürgertums, so ein bisschen der verlorene Sohn, der trotzdem immer wieder Freude daran hat. Ich erziehe meine Kids auch so, sie sollen unbedingt Abitur machen, obwohl es für mich auch nicht lebenswichtig war, Abitur zu haben. Es sind einfach so Werte, die finde ich gut. Ich finde es auch gut, wenn man ein bisschen Ahnung hat. Wenn einem nicht jeder alles Mögliche erzählen kann. Gerade in unserer Zeit heute finde ich es umso wichtiger. Ich bin ja entsetzt, wo die Menschheit hingeht. Man muss nur irgendeinen Chatroom aufmachen, da denke ich "Oh weia". Oder diese Fernsehdiskussionen. Ich finde das ganz schrecklich, das ist so bodenlos. Weil die Leute alle reden wollen und keiner eine Grundlage hat. Alles schreit durcheinander, keiner hat mehr das geistige Rüstzeug, um zu beurteilen, was ist total Banane, und was ist bedenkenswert. Jeder glaubt jedes Gerücht, jeder posaunt es weiter. Da kann ich nur sagen; da bin ich wirklich entsetzt, wie sehr jeder eine Meinung haben will, aber wie wenig die Leute die Grundlage im Kopf schaffen, eine Urteilskraft zu bilden. Naja. Heavy Stuff. (lacht)
Wie ist das denn, du warst jetzt 30 Jahre schon aktiv. Musiker werden ja auch einfach älter. Wie gehst du damit um, hat sich das auf dein Auftreten ausgewirkt?
Wenn man älter wird, mekt man irgendwann, man sieht ein bisschen scheiße aus. Darüber hinaus denke ich, alles, was man so mit dem Kopf macht - der Kopf funktioniert noch sehr gut. Der funktioniert mit dem Zuwachs an Erfahrungen sogar noch besser. Es macht mir totalen Spaß, was ich mache, ich bin produktiver, als ich es als Teenie war, oder als Twen. Mir fallen jeden tag tausend Sachen ein, ich kann das jetzt alles viel schneller realisieren, weil ich klarer bin. Von daher kann ich sagen, für mich als Künstler ist das wunderbar.
Das andere sind jetzt die Außenwahrnehmungen. Was man gesellschaftlich an Wirkungsmacht entfalten kann. Da kann man nicht die Erwartung haben - weder die Rolling Stones noch sonst irgendjemand - dass du dein ganzes Leben lang total wirkungsmächtig bist, mit allem, was du machst. Da bin ich aber auch sehr glücklich mit meiner Karriere. Für meine DJ-Kunst brauche ich 'ne handvoll Leute, und dann ist das schon schön. Die kriege ich immer noch zusammen, das macht mir Spaß, ich kann immer noch was entdecken und weiterentwickeln. Es gibt zwei Betrachtungsarten, das eine ist in den 90ern, der Höhepunkt der Wirkungsmacht, aber da bleibt kein Künstler sein ganzes Leben. Aber ich würde sagen, wenn es um die Höhe meiner Kunst geht, bin ich heute weiter.
Vielleicht interessant auch in die Richtung: Du hast auch geschrieben, dass es seit '97 ästhetisch nichts Neues gibt in der elektronischen Musik. Wie stehst du diesbezüglich dem Hype von Techno bzw. elektronischer Musik in allen ihren Facetten gegenüber?
Gemessen an den 90ern würde ich sagen, dass es aktuell nicht sonderlich hysterisch ist. Ein Laden wie das Berghain ist für mich zum Beispiel ein Echo auf die 90er. Ein Echo auf den Planet, auf den alten Tresor damals... Das ist auch gut. Was ich sagen wollte, damit, dass es damals nichts Neues gab - mit Rockbands ist es seit den 70ern so. Aber das heißt nicht, dass es nicht trotzdem großartige neue Rockkünstler gibt. Ich gehe davon aus, dass die keinen neuen Kontinent mehr entdecken werden, die Zeiten sind bei Rock vor Jahrzehnten vorbeigegangen. Und die sind auch im Genre der DJ- oder Technomusik schon fünfzehn Jahre vorbei. Aber das sind Genres, die deswegen nicht tot sind. Es gibt immer wieder Leute, die das mit ihrer eigenen Person schönen. Letztendlich, wenn du Kunst schön findest, bist du immer wieder geflasht von der Person, die dahintersteht. Das muss dann auch nicht in dem Sinne dem totalen Neuerfindungsfundamentalismus entsprechen. Sondern es muss einfach in dem Moment ziehend sein. Der Künstler muss es schaffen, dass er über die banalen Teile - im Rock'n'Roll ein paar banale Gitarrenakkorde, im Techno ein paar banale Beats - seine Person zu legen, speziell zu sein. Wir suchen die Künstler, die das gewisse Etwas reinbringen. Und die gibts in jedem Genre immer wieder.
Was ich sagen wollte: elektronische Musik ist dann irgendwann dahin gekommen, wo Rock'n'Roll eben auch Jahre vorher schon hinkam, in so eine postmoderne Phase. Es ist nichtmehr so wie in den 50er Jahren, dass man denkt "Was kann aus dem Genre noch werden?", sondern im Großen und Ganzen sind die Ländereien abgesteckt. Aber das Land wird trotzdem immer noch bewirtschaftet.
Was macht deiner Meinung nach eine gute Party aus?
Das habe ich schon gut in meinem Buch "Mix, Cuts & Scratches" gesagt: Eine gute Party ist immer eine erleuchtende Party. Irgendwie bist du davon ergriffen, hast etwas erlebt, was dir irgendwo neu vorkommt, obwohl alles bekannt ist. Passiert irgendwas, von dem du denkst "Wow, das hab ich so noch nie gehört."
Würdest du rückblickend irgendetwas anders machen?
Man kann ja, solange man noch lebt, noch einiges anders machen. Aber hinsichtlich der Karriere bin ich mit allem glücklich und zufrieden.
Vielen Dank für das Interview, Westbam!
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© Paula Charlotte