Es gibt auch etwas Anderes. Etwas „Anderes als 4-on-the-floor.“ Manchmal übersieht man das schnell, konzentriert man sich auf die gängige Clubbing-Szene und die Techno-Monokultur.

Defrostatica, ein Label aus Leipzig, spielt in einer anderen Nische. Drum’n’Bass, Breaktbeat, Footwork. Das klingt, rein von der Definition der Stile, erst mal schnell, manch einer empfindet es vielleicht als stressig. Letztendlich vergisst man leicht, dass man sich in jede Musikrichtung, sei es nicht gerade dem Herzschlag entsprechender 4/4-Rhythmus, erst mal einfühlen muss, zulassen. Lässt man sich ein, kann man oftmals positiv überrascht werden.

„Der Punkt ist glaube ich, wir sind in einer Musikrichtung, die sehr innovationsfreudig ist, das heißt Ausprobieren von Sounds, Ausprobieren von Tempos und so weiter. Wir waren da noch nie so die Mainstream-Gruppe aber das ist nicht schlimm“ DJ Booga

Dieses Ausprobieren, das Gefühl, irgendetwas abweichend vom gängigen Rhythmus zu machen und zu erleben, zieht sich schon lange durch den musikalischen Werdegang DJ Boogas. Angefangen Musik zu machen hat er als Drummer in einer Punkrockband, Breakbeats waren an der Tagesordnung, weil die für einen Schlagzeuger irgendwie aufregender sind, sagt er. Dann kamen die ersten eigenen Platten. Seit Mitte der Neunziger bewegt er sich in dieser Musik, ab und zu ein Schwenk nach links und rechts, dennoch ist ihm der Sinn für treibende Drums bis heute erhalten geblieben.

Die Idee zur Gründung des Labels 2014 entsprang im Grunde genommen weniger einem Schwenk nach links oder rechts, sondern nach vorn: Booga entdeckte einen jungen Künstler, dessen Musik er als Inspiration und Weiterentwicklung annahm.

„Kators Musik hat mich wirklich fasziniert, weil das ein eigener musikalischer Standpunkt ist. Nicht nur „wir machen jetzt 'ne Formel, wir wollen das auch machen“, keine Imitation. Nein, es ist eine eigene Definition von einem musikalischen Standpunkt.“ DJ Booga

Da er vorher schon in verschiedenster Art und Weise aktiv war, sei es als Veranstalter, Produzent, Autor (IT’S YOURS), war der Schritt zum eigenen Label im Grunde nur noch ein gradueller, da er die Musik und das Musikmachen ja bereits seit mehr als zwanzig Jahren mit viel Herzblut in sein Leben integrierte.

Und so ist es auch mit dem Label, am Ende des Tages. Es ist in erster Linie auch Bock drauf zu haben, wie das Ganze funktioniert - wenn's klappt, ist es super. Es ist ein Hobby, ich muss nicht davon Leben und machen kein Business draus. Wenn ich der Musik Businessentscheidungen zugrunde legen würde, das wäre auf keinen Fall das, was wir jetzt tun.“ DJ Booga

Trotzdem ist es schwierig, ein Label alleine am Laufen zu halten. Zum Glück gibt’s gute Freunde, und wenn man dann auch noch die musikalische Leidenschaft teilt, warum dann nicht auch zusammen ein Label führen?

Tina, aka Kords+Kajal, ist die Zweite im Bunde. Neben ihrer Tätigkeit für Defrostatica hat sie regelmäßig Sendezeit bei Radioblau, der Sundaygroove. Wenn es für sie passt, spielt sie gerne auch mal Drum’n’Basss und Footwork, das ist ja auch die Richtung, die sie mit Booga hinter Defrostatica eint. Im Grunde geht es ihr aber vor allem darum, dass die Stimmung richtig rüber kommt.

„Dieses Düstere, leicht Melancholische, das mag ich sehr gerne.“ Kords+Kajal

Was die beiden auch teilen, ist die Ansicht, dass man gegenüber Neuem offen sein sollte. Diese Neugier, vor allem gegenüber musikalischen Nischen, die abweichen von dem, was der durchschnittliche Clubgänger in Leipzig am Wochenende erlebt, vermissen sie gelegentlich. Einfach mal machen, ausprobieren, dranbleiben und schauen, was passiert. Letztendlich sind sie beide durch ihre Offenheit gegenüber der Szene, aber auch Entwicklungen in andere Richtungen, an den Punkt gekommen, an dem sie jetzt sind.

Robert, DJ Booga, hatte früher eine Leidenschaft für Comics, insbesondere „Tank Girl“. Daher kommt auch sein Alter Ego. (Anmerkung der Redaktion: Booga ist ein Kängurumensch, Freund der Titelfigur im Comic). Neben dem Dasein als DJ, Produzent, Autor (IT’S YOURS hat er als Nachfolgeprojekt zu breaks.org gegründet.), Veranstalter und all den non-Business-Musikerleben-Tätigkeiten arbeitet er übrigens für eine Agentur für digitale, interaktive Dienstleistung.
Tina aka Kords+Kajal hat sich ihren Alter Ego ursprünglich anlässlich des Sundaygroove angelegt: „Als ich damit angefangen habe, wollte ich irgendwie nicht nur sagen, dass die Tina gerade am Mic ist, sondern wollte natürlich nen coolen Namen dazuhaben. Ich hab überlegt, dass die Musik, die ich dort spielen möchte, 'nen gewissen Groove und 'ne gewisse Stimmung haben soll. Dann hab ich nach Worten gesucht, die das für mich beschreiben oder umschreiben. Und das sind eben einmal die Kords, das ist der Sound den ich da abfeiere, und Kajal, der für mich ein bisschen für dieses düster-melancholische steht.“
Sie arbeitet neben ihrer Tätigkeit für Defrostatica als Promoterin in der Distillery für die Veranstaltungen am Freitag. Noch eine Connection: Eine Weile war sie auch Autorin für IT’S YOURS. Außerdem betreut sie ein Projekt zur politischen Bildung von Jugendlichen im Haus Steinstraße e.V.

Im Interview mit EK sprechen Robert und Tina darüber, was die Musik für sie ist, was für einen Teil sie in ihrem Leben einnimmt, und warum Wunschdisco im Grunde jeden DJ nervt.

Wer steckt denn hinter dem Label Defrostatica, beziehungsweise hinter eurem jeweiligen Alter Ego?

Robert: Ich bin DJ Booga. Ich lege im Bereich Breakbeat auf, also alles was gebrochene Rhythmen darstellt. Das hat was damit zu tun, dass ich Drummer in einer Punk/Crossover-Band war, und als Drummer haben mich Breakbeats natürlich mehr interessiert. Ich denke Hip-Hop und House in den späten 80ern war so ein bisschen mein musikalisches Erwachen, weil da in Zeiten von Coldcut und Marrs so 'ne Cut-up Musik zusammengestellt wurde, die sich eher über Breaks definiert hat. Das war 'ne wilde, angenehme Zeit, und das fand ich superinteressant. So 'ne Musik aus Versatzstücken, aufgrund derer sich eine neue Musik gegründet hat, zu 'nem anderen Tempo, 'nem anderen Soundcharakter – das hat mich total angezogen. Dann hab ich irgendwann angefangen Jungle und Drum'n'Bass Platten zu kaufen und habe die dann aufgelegt. Das mache ich seitdem; seit '95. Zwischendurch natürlich auch musikalische Links- und Rechts-Schwenker, manchmal auch etwas langsamere Gefilde.
Fakt ist: es ist wichtig immer mal seinen Blick schweifen zu lassen, damit man wieder merkt, wie die alte Liebe noch schockt und rockt.

Aber was wir jetzt machen, hat nicht unbedingt etwas mit dem klassischen Drum'n'Bass zu tun, eher mit einer modernen Ausprägung, die aus Amerika kommt. Das ist eine Musikrichtung, die wird wahlweise Juke oder Footwork genannt. Man hört da was anderes und stellt fest, dass es da zum Beispiel über das Tempo einen ähnlichen Zusammenhang gibt. Weil die Musik da in Chicago auf einem ähnlichen Tempo funktioniert, wie in Europa vor 20 Jahren Drum'n'Bass und Jungle funktioniert haben.  Da gab es natürlich europäische Künstler, die sich von dieser amerikanischen Spielart des schnellen House und extrem gebrochenen Rhythmus haben inspirieren lassen – und haben die dann aufgrund der Ähnlichkeit des Tempos mit Jungle-Anleihen verknüpft. Was für mich, jemand der die ganzen Originale kannte, wie eine Frischzellenkur war, ein unerwarteter Remix. Aber es war auch ein extrem interessanter musikalischer Brückenschlag, zu sagen: Da geht was zusammen, was sich vielleicht aufgrund der kontinentalen Ferne nicht natürlich verbinden würde, aber heutzutage durch das Internet ist das ja alles kein Thema. Und seitdem entwickelt sich eine Musikrichtung auf 'ner globalen Art und Weise, die sich an den Rändern dieser Musik aus Chicago und den englischen Einflüssen bewegt. Und das finden wir superspannend.

Ich hab 2014 mit einer Idee gestartet. Idee deshalb, weil ich Musik von einem jungen Künstler gefunden habe, Kator, die mir sehr gut gefallen hat, und die denke ich eine sehr gute musikalische Weiterentwicklung dessen ist, was ich selber gut finde. Kator hat mit seinen ersten Stücken, die wir dann auch rausgebracht haben, eben genau in diesem Spannungsfeld agiert. Und das hat mich wirklich fasziniert, weil das ein eigener musikalischer Standpunkt ist. Nicht nur „Wir machen jetzt 'ne Formel, wir wollen das auch machen“, keine Imitation. September 2015 kamen dann die ersten beiden Veröffentlichungen von Kator heraus. Es ist eine eigene Definition von einem musikalischen Standpunkt, der zum Glück und wunderbarerweise auch von vielen jungen Menschen gern gehört wird. Das zeigen die Partys, die voll sind. Und deswegen wollen wir diesbezüglich auch in Zukunft aktiver sein.

Tina: Ich bin Tina aka Kords+Kajal. Ich weiß gar nicht, wann ich dazu gestoßen bin, 2015 glaube ich, im Sommer vor unserer Label Launch Party in der Tille. Das hat sich ein bisschen dadurch ergeben, dass ich mit Robert erstens schon lange befreundet bin und wir uns sowieso immer viel über Musik austauschen weil, wir da glaube ich relativ ähnlich ticken, wir uns über das Label ausgetauscht haben. Dann kam irgendwann die Idee – „haste nicht Bock da mitzumachen“, beziehungsweise ich hab dann eben gefragt, ob er nicht noch jemand braucht, der unterstützend mit tätig ist.
Dann hatten wir im September die Label Launch Party in der Distillery, wo ich als Promoterin für die Freitagsveranstaltungen tätig bin. Und seitdem kommt es schön ins Rollen.
Ich selbst lege noch nicht wirklich auf. Ich habe seit Januar eine Radiosendung bei Radio Blau. Der  Sundaygroove, das ist eine Sendereihe, die jeden Sonntagabend läuft. Die wird immer abwechselnd von vier Personen gestaltet, so dass ich jetzt alle vier Wochen unter diesem Alter Ego Kords+Kajal eine Stunde Musik sende. Da es Sundaygroove ist, deswegen immer ein bisschen entspannter sein soll, sind es meistens nicht ganz so schnelle elektronische Stücke, aber es kann, wenn der Vibe für mich reinpasst, durchaus auch mal Juke oder Footwork oder Drum'n'Bass sein. Weil für mich eigentlich das Tempo, gerade bei so 'ner Sendung, erst mal zweitrangig ist und ich mehr Wert auf die Stimmung lege.
Was der Name Kords+Kajal für mich auch so ein bisschen ausdrücken soll, dieses düstere, leicht melancholische, das mag ich sehr gerne.

Robert kam über die Punkrock-Band zur Musik, wie war das bei dir, Tina?

Tina: Gute Frage. Ich hab natürlich Musik gehört, ich kann gar nicht genau definieren, wann der Zeitpunkt für mich gekommen war, zu dem ich angefangen habe mich intensiver damit auseinanderzusetzen. Wahrscheinlich auch in der Zeit, zu der ich anfing, wegzugehen. Verschiedene Musik auch mal in einem anderen Kontext als nur zu Hause zu hören hat bei mir glaube ich ausgelöst, mich mehr damit zu beschäftigen. Oder, wenn einem etwas gefällt, da gibt es eben Leute denen gefällt das, und die sind damit zufrieden, und dann gibt es eben Leute, die suchen dann mehr, was ihnen darüber hinaus auch gefallen könnte. Ich würde mich da eher zur zweiten Gruppe zählen. So hat sich das eben nach und nach ergeben, dass ich dann angefangen habe bei „It’s yours“ zu schreiben. Das war auch nochmal ein wichtiger Punkt, der mich dazu gebracht hat, mich mit Musik auseinanderzusetzen, mehr Leute kennen zu lernen, die sich auch irgendwie mit Musik beschäftigen.

Wie nehmt ihr die Clubszene in Leipzig wahr? Also sowohl beim feiern gehen, als auch als Label sowie DJs? Vielleicht auch im Vergleich zu anderen Städten.

Robert: Ich finde diesen DIY-Ansatz sehr wichtig, eine Lebensqualität ausdrücken und sagen „Ich häng' mich nicht irgendwo dran, ich versuche erst mal zu verstehen, was da abläuft, dabei lerne ich 'ne Menge, und dann gucke ich mal was passiert.“

Ich denke, Leipzig hat schon eine sehr herausragende und vielschichtige Kultur, hat extrem was zu bieten. Von der Ecke, aus der wir musikalisch kommen, kann man eindeutig sagen, dass wir mal 'ne ganz starke DIY-Szene hatten. Ende der 90er bis vielleicht Mitte 00er gab es unheimlich viele Crews, die auch Veranstaltungen gemacht haben. Das war, sag ich mal, eine goldene Zeit für die Musikrichtung. Danach hat sich das alles ein bisschen eingeebnet. Bei der Musikrichtung, die wir so betreiben, kann man sagen, es hält sich nach wie vor in den Ecken auf. Wir sind definitiv nicht Mainstream, im Drum'n'Bass sind wir noch mal eine eigene Ecke, obwohl wir die musikalischen Absichten haben, da schon eher Brücken zu bauen, unbedingt. Aber es ist gefühlt auf keinen Fall eine Sache, die Läden jetzt komplett füllt, es ist noch neu. Wir sind eher auf dem Weg, zu sagen, wir wollen Leute überraschen, mit Dingen, die jetzt existieren, oder vielleicht noch nächsten Monat, nächstes Jahr, als ausschließlich Musik zu huldigen, die vielleicht vor zehn, fünfzehn Jahren attraktiv und angesagt war. Solche Veranstaltungen gibt es auch, es ist auch nicht schlimm, wenn man mal 'nen Blick zurückwirft. Aber von uns aus gesehen darf es eigentlich immer nach vorne gehen.
Und was die Szene hier angeht, klein, überschaubar. Man kennt sich, man respektiert sich, unterstützt sich. Ich bin gesegnet, weil Tina, magically, sowieso schon in der Distillery arbeitet. Das heißt also, es trifft sich gut, dass wir beide musikalisch den Fuß in der Tür haben. Auf der anderen Seite haben wir natürlich schon Kollaborationen mit anderen Läden versucht, wie dem Conne Island, das wird sicherlich auch hier und da mal klappen. Aber es bleibt: in unserer Musikrichtung gibt es wenige, überschaubare Veranstaltungen. Das ist nichts, wo man sich gegenseitig auf die Füße tritt.

Tina: Na, was mir auf jeden Fall immer wieder auffällt, gerade auch wenn man so internationale Gäste hat, die in der Tille spielen, dann unterhält man sich ja auch mal, viele sind vielleicht auch zum ersten Mal in Leipzig, dann erzählt man ein bisschen was über die Stadt, 'ne halbe Millionen Einwohner – dann wirken die schon immer erst mal überrascht, dass es doch eine relativ kleine Stadt ist. Und wenn man so drüber nachdenkt, ist das glaube ich auch etwas, was Leipzig auszeichnet: trotz dessen, dass es eigentlich 'ne ziemlich kleine Stadt ist, wenn man es mal mit anderen Musikmetropolen vergleicht, gibt es eine sehr vielfältige und aktive Szene. Hier gibt es viele verschiedene Clubs, wo man sich auch als unabhängiger Veranstalter oder Crew einmieten kann, oder zumindest gemeinsame Sache machen. Das ist glaube ich nicht in allen Städten gang und gäbe beziehungsweise eine Selbstverständlichkeit. Das zeichnet Leipzig definitiv aus. Und gerade auch dadurch, dass es hier so viele „Off“-Locations gibt, also die eben keine etablierten Clubs sind, wo das Ordnungsamt ein Auge drauf hat, ist glaube ich hier auch viel mehr möglich als in anderen Städten, wo so was nicht existiert. Und das macht so ein bisschen den Charme und den Reiz dieser Stadt aus. Was uns die Presse ja auch immer wieder erzählt. (lacht) Aber es ist tatsächlich so: Wenn man solche Locations hat, dann hat man auch ganz andere Möglichkeiten.

Robert: Da muss ich einhaken. Die Möglichkeiten sind vielleicht da, aber musikalisch nicht unbedingt genutzt werden. Ich denke, dass es im Wesentlichen eine Monokultur ist, dass eine Monokultur im House/Technobereich existiert. Wenn du dir mal die Szenenachrichten bei FrohFroh über die Wochenendankündigung anguckst – du kannst dich mit House von vorne bis hinten, von Donnerstag bis in den Montag rein beschäftigen, alles andere Musikalische findet, zumindest in der Wahrnehmung, nicht so statt. Ob das nun tatsächlich stattfindet, ist was anderes. Und das ist eine Sache, die wir beobachten, die uns nicht sonderlich tangiert, wir machen einfach was wir machen, aber es ist schon für von außen kommende nicht unbedingt klar erkennbar, dass es noch Anderes gibt außer… 4-to-the-floor.

Tina: Ja zumindest ist das eben so der Schwerpunkt. Das ist das Präsenteste. Es passiert schon auch viel anderes, aber wie du gesagt hast; das ist noch nicht so im Fokus der Wahrnehmung, das würde ich auch so unterschreiben. Man sollte gegenüber Neuem einfach offen sein. Und dass vielleicht auch nicht nur im Bezug auf Locations. Ich hab immer das Gefühl, in Leipzig entstehen permanent irgendwie neue Locations. Die gibt’s dann vielleicht auch nicht lange, aber es ist eigentlich im stetigen Wandel. Das hat immer eine große Anziehungskraft, offensichtlich, auf das Partyvolk. Das finde ich auf gut so, ich würde mir nur manchmal wünschen, dass es, wenn es um das Musikalische geht, da auch ein Stück weit so ausgeprägt wäre.

Ihr hattet ja auch schon 'ne Label Party, wie habt ihr es da wahrgenommen? Wie wurde es angenommen und wie lief's für euch?

Tina: Wir hatten unsere allererste Party, als Label sozusagen, letztes Jahr im September. Das war quasi die Label Launch Party, wo dann auch die ersten beiden Releases am Start waren. Das haben wir als Anlass genommen, uns sozusagen mal der Partywelt vorzustellen. Danach ist 'ne ganz schöne Verknüpfung mit der Purple Tea Veranstaltung passiert, die wir auch regelmäßig bei uns in der Tille haben. Die machen zwar wir als Distillery, aber zusammen mit Derbystar und KitKut, die da auch musikalisch so ein bisschen den Hut mit auf haben. Das fing eigentlich eher als eine Trap-Party, die Jungs sind aber musikalisch auch sehr viel breiter aufgestellt und auch interessiert, so dass sich das inzwischen, innerhalb eines Jahres, auch schon sehr gewandelt hat, teilweise ein bisschen elektronischer geworden ist, aber auch Grime, Hip-Hop aus UK 'ne größere Rolle spielt. Das ist also eigentlich ein Sound, den ich zumindest auch sehr feiere. Robert auch, der nickt gerade. (lacht) Deswegen fanden wir es interessant, uns mit denen zusammen zu tun, und daraus ist dann die Idee entstanden, dass wir bei den Purple Tea Veranstaltungen immer den Keller-Floor bespielen, weil das 'ne coole musikalische Verbindung ist: Was wir machen ist definitiv auch interessant für die Leute, die zu der Veranstaltung gehen und umgekehrt.

Robert: Es fühlt sich auf jeden Fall super gängig an, mit dem was die Leute machen. Die machen quasi das gefühlte halbe Tempo dessen was wir tun, und wenn die Leute, die da sind, bisschen mehr Schub brauchen, kommen die einfach zu uns runter (lacht) und dort geht’s mitunter etwas schneller ab, mitunter aber eben auch etwas langsamer.Ich glaube, dass unsere Kultur, die wir gut finden, einen Vibe hat, der sich nicht nur über drei Grundparameter definiert, also Tempo, Stilart und fertig. Und da kann es schon mal sein, dass wir ähnliche Sounds spielen, die die Purple Tea Jungs oben auch machen, aber das ist nicht unbedingt das Problem, es ergänzt sich einfach gut. Das fühlt sich für mich ganz organisch an.

Was ist denn für euch ein gelungener Abend als DJ, oder wenn ihr 'ne Party macht?

Robert: Das ist 'ne gute Frage, weil die Innenansicht noch mal eine ganz andere ist. Was ein gutes DJ Set für mich vom Erleben her ausmacht, ist, wenn ich das Gefühl habe, dass das, was ich vielleicht wollte, geklappt hat. Und was ich will, drückt sich dann nicht so sehr darin aus, welche Lieder ich an dem Abend spielen konnte, und ob ich es technisch gut gemacht habe. Wenn man länger dabei ist, gibt es dann auch so den Anspruch „okay ich hab 'ne Stunde, und ich möchte, dass die Leute möglichst die Stunde bleiben.“ Und dass sie in der Stunde noch möglichst was erleben, was über die bloßen Titel hinausgeht. Ich möchte, dass die irgendwo anfangen, und in der Stunde irgendeine Ecke miterleben, wo ich sie hinführe. Das ist aber nichts, was du irgendwie zu Hause mit 'ner Titelliste planen kannst, da musst du quasi checken, was los ist, musst einfach darauf reagieren, was dort läuft. Und der Kampf in dir ist, nicht nur das zu geben, was da vorn gerade gefragt ist. Wenn da plötzlich noch mal zehn Typen auftauchen und das gerade total feiern, dass ein angezerrter Bass reinkommt, und es als nächstes am besten bitte noch höher, schneller, weiter zu gehen hat – da darf man sich nicht irgendwie auf die falsche Fährte bringen lassen und sagen „Ich gebe jetzt den Leuten, wonach sie schreien“, sondern „Jaja, ich hab schon verstanden, dass ihr darauf abfahrt, aber was haltet ihr denn davon: ...“. Das Schöne ist, in der Musikrichtung, in der wir sind, werden die wenigsten exakt die Tunes erkennen, die wir spielen. Es ist nicht populär genug, als dass man sagen könnte „Ich wünsch mir den Tune“ – Zum Glück ist das bei uns nicht der Fall. (lacht) Wunschdisko? Abhauen.
Meine Aufgabe ist es, einen Punkt zu spielen, wo ich vielleicht die Leute abhole.  Das sind Momente, wo ich sage, da hat's geklappt, das ist gut und ich kann was übermitteln. Es gibt Leute, die hören 'nen Tune, weil ich den schon in einem Podcast vom letzten Monat drin habe – und die freuen sich, ich höre das beim Auflegen, weil die denken jetzt kommt der Tune, der danach im Mix kommt. Und dann spielst du den und spürst die Reaktionen darauf, weil die Leute diesen Aspekt schon mal gehört haben. Das sind Momente, die sind unbezahlbar, das ist superschön, das bleibt hängen.

Tina: Aus Veranstaltersicht gibt es natürlich sehr viele Aspekte, die einen Abend schön oder auch weniger schön machen können. Zum einen ist natürlich immer ein bisschen die Frage „Hat sich der Abend gerechnet?“ Das ist die ewig hämmernde Frage, die man so im Kopf hat. Es ist natürlich immer toll, wenn man die Frage mit „Ja“ beantworten kann, aber ich habe definitiv auch schon Abende erlebt, wo ich sagen musste „Okay, wir haben heute keinen schwarzen Zahlen geschrieben“ und trotzdem war es ein superguter Abend. Das hat dann meistens etwas damit zu tun, dass man das Gefühl hat, dass alle Künstler, die man eingeladen hat, sich wohlfühlen, dass man gut mit denen reden kann. Und diese Beziehungen, die man da aufbaut, wenn man überhaupt welche aufbaut, sind ja häufig von einer sehr kurzlebigen Dauer. Du holst sie vielleicht nachmittags vom Flughafen ab, bringst sie morgens wieder hin, und zwischendurch  spielen sie eben Musik und schlafen – also es sind im Endeffekt nur ein paar Stunden die man tatsächlich miteinander verbringt und trotzdem kann das manchmal extrem angenehm und persönlich werden, und es ist immer total schön, wenn man sich verabschiedet und das Gefühl hat: Okay, dieser Abend bleibt denen auch ein bisschen länger im Kopf hängen, nicht nur dir. Weil einfach der Vibe gestimmt hat. Das ist für mich eine superwichtige aber auch sehr schwer zu beeinflussende Größe: die Stimmung und der Vibe auf 'ner Party. Dass die Künstler sich wohlfühlen, dass die Gäste sich wohlfühlen, dass sie miteinander eine gute Zeit haben. Man hat auch manchmal Künstler, die null mit dem Publikum agieren. Das ist dann häufig eben nicht ganz so erfüllend, für die eine Seite zumindest.
Also ich weiß immer, dass es ein guter Abend war, wenn Leute zu mir kommen und sagen „Total schöner Abend, ich freu mich total, dass du das gemacht hast“ oder so. Das ist dann schon immer ein gutes Zeichen.
Na klar, wenn man so 'nen Abend plant, ein Line-Up plant, dann denkt man sich auch immer irgendwas dabei. Man möchte zum Beispiel, dass das alles aufeinander aufbaut, oder es soll bestimmte Brüche und Kanten geben. Wenn man dann am Ende des Abends merkt, dass es so hingehauen hat, wie man es sich vorgestellt hat, das ist natürlich immer super. Weil ich es zum Beispiel auch mag, an einem Abend eben nicht vier DJs hintereinander hinzustellen, die exakt denselben Sound spielen, sondern wo es irgendeine Abwechslung drin gibt, wo passt welcher Style am besten hin. Und wenn man dann merkt, die Leute haben sich darauf eingelassen und die haben das gefeiert, dann ist das natürlich super. Das macht eine gute Party für mich aus, dass ich merke, dass die Künstler happy sind, und dass die Gäste... vielleicht nicht unbedingt verstehen, was passiert, aber sich einfach darauf einlassen.
Manchmal ist es ein Experiment, ein Risiko. Natürlich weißt du nicht immer, ob das gut ankommt, oder ob die Leute alle sofort abhauen und völlig angepisst sind, dass sie jetzt nicht noch 90 Minuten lang 170bpm auf die Fresse kriegen.

Robert:  Das ist die Arbeit eines Promoters. In irgendeiner Art und Weise Erwartungshaltung oder eben auch nen Gestaltungswillen zu demonstrieren. Wenn das der Plan dahinter ist, dann ist das der Plan. Wenn es funktioniert, ist es super. Ich meine, du kannst nie den Geschmack aller erfüllen. Aber es ist eine Grunddramaturgie für einen guten Abend, dass das klappt.

Was ist für euch elektronische Musik? Es ist ja ein sehr großer Teil eures Lebens. Also was bedeutet es für euch?

Tina: Also ich finde es extrem schwer, Musik mit Worten zu erklären. Ich glaube, das kann ich zum Beispiel sehr gut damit deutlich machen, wenn ich erzähle, was ich alle mache, was mit Musik zu tun hat. Es ist ein sehr großer Teil meiner Zeit, den ich damit verbringe, durch das Label, durch die Radiosendung, durch meinen Job. Ich glaube, wenn man das alles so aufzählt und addiert, dann wird schon ziemlich deutlich: das ist dein Ding, das machst du sehr viel, da fließt viel Zeit und viel Herzblut rein. Ich denke das merkt man dann wahrscheinlich auch an der Art und Weise, wie man darüber erzählt. Die Stimmung, die man dabei rüber bringt, das schwingt da mit.

Robert: Was ich bei Tina immer cool finde, dass sie eigentlich viele Sachen sehr kurz und richtig sagt, die mir durch den Kopf gehen. Zusammenzufassen, wie viel Zeit man eigentlich damit verbringt, drückt es echt gut aus. Das ist es eben: Man macht es in erster Linie ja für sich, das ist völlig klar. Dass das, was wir machen,  auch für andere noch eine Bedeutung hat, ist ein schönes Beiprodukt, aber in erster Linie gibt es eine kleine Stimme in dir drin, die sagt „mach das!“ Ich könnte jetzt nicht sagen, warum. Beim Label ist es natürlich ein bisschen bewusster, da ist es nicht nur eine emotionale und kurzfristige Sache, da muss man schon ein bisschen rationaler rangehen, hier und da. Aber was die Musik an sich angeht… bei einem DJ ist die Auswahl dessen, was du spielst, essenziell wichtig. Mehr als die technischen Skills, weil ich entscheide, was das Publikum hört, und die Entscheidung darüber, was andere zu hören bekommen, macht den Abend aus. Und ich glaube, wer da eine Leidenschaft entwickelt, eine Mischung zwischen dem „Ich gebe dir eine Mechanik mit, eine Formel, und ich weiß, dass du auf jeden Fall tanzen kannst, und wenn ich dich erst mal habe, dann zeige ich dir mal was Neues, ein Level, was du noch nicht kennst“ – dann ist das ein Sendungsbewusstsein, dass kannst du niemandem erzählen, das ist entweder in dir drin oder nicht. Und wenn es funktioniert… es gibt nicht viel, was besser ist, aus meiner Sicht. Das ist der Spaß an der Sache.

Ich habe mich mit Robert und Tina im Café Kowalski getroffen. Sogar zweimal. Nachdem die Aufzeichnung des ersten Gespräches aufgrund eines defekten Mikrofons verloren war,  gab es also ein zweites Treffen. Thank God, ich hatte schon Endzeitszenarien à la „dieses coole Interview ist verloren gegangen“ im Kopf. Nach dem ersten Gespräch war ich sehr euphorisch, war es doch so offen und inspirierend gewesen. Vor dem zweiten hatte ich die Befürchtung, dass, weil man ja über alles schon einmal gesprochen hatte, die Antworten kürzer und weniger beschwingt ausfallen könnten.
Dem war nicht so. Ganz im Gegenteil, die Atmosphäre war entspannt und gleichzeitig aufgeladen – entspannt aufgrund der grundsätzlich sehr lockeren, angenehmen Art der beiden, aufgeladen wegen des Herzblutes, was offensichtlich in die Antworten floss.
Ich dachte immer, Drum’n’Bass und/oder Footwork ist nicht so meins. Nach dem Interview war ich so angefixt, dass ich auf die nächste Purple Tea x Defrostatica Party in die Tille gerammelt bin. No Promo und so weiter – aber ich habe alles, was die beiden erzählt haben, bestätigt gefühlt.

Übrigens, die beiden freuen sich über Demos und geben dazu auch immer ein Feedback. Schickt eure Sachen einfach an: tune@defrostatica.com

© Paula Charlotte

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