Düstere Synthies, eine Collage aus Noise, Bass, einer sphärischen Stimme. Irgendwas aus New Wave, Synth Pop, Elektro, 80s inspired Sound. Alles ein bisschen unperfekt und genau deswegen so intensiv und echt.
Jenny aka Jennifer Touch ist ein Kind der 80er, das hört man ihrer Musik an. Sie ist Producerin und Vocalist, singt für ihre eigene Musik und auch für andere Musiker. Ihre Platten hat sie unter anderem bei Lunatic und Riotvan released.
Ein inneres Konzept gibt es, so sagt sie selbst, für ihre Musik nicht. Sie sieht es eher im Großen und Ganzen, das Konzept, was jeder Mensch ja irgendwie am Laufen hat. Diese offene Einstellung spürt man in ihrer Musik: da ist viel Energie, das ist roh, das ist genau so, wie es eben gerade passiert, ohne vorher einen genauen Plan zu haben und ohne damit etwas Bestimmtes erreichen zu wollen. Und genau das macht ihre Musik letztlich auch so ehrlich. Eine gewisse Melancholie durchzieht den diskoiden Wave-Sound aber immer.
„Ich finde Synthesizer-Sounds klingen immer irgendwie melancholisch. Es hat immer etwas Weltfremdes. Diese analogen Schlagzeug- oder Gitarrensounds sind mir zu klar, da weiß man meistens schon, über welchen Kanal das reingeht. Bei elektronischer Musik hat man viel mehr Spielraum, finde ich. Ich mag schiefe Synthesizer-Sounds. Ich stehe auch drauf, das Punkrock-mäßig einfach zu machen und zu probieren, was einem gefällt. Man stellt dann fest, dass man das, was man machen will, auch spielen kann, lustigerweise.
Das Große und Ganze ist so, wie es ist, und so bin ich auch. Und das finde ich bei anderen Leuten auch cool, wenn die sich nicht irgendwie 'nen Harten machen, dauernd irgendwas zu erfüllen. Denn das macht dich überhaupt nicht glücklich. Das ist auf jeden Fall so das, was ich die letzten Monate mitbekommen habe, und das macht mich am Ende frei.“
Musikmachen gehört zu ihr, sie sieht es nicht als Freizeitbeschäftigung oder gar Hobby. Es hat nichts mit Zerstreuung zu tun, sie sagt, das ist etwas, was ganz klar in ihrem Wesen verankert ist. Auch möchte sie keine Kunstfigur darstellen, und auch das erklärt, warum sich der Sound von Jennifer Touch obwohl so synthetisch und ganz und gar nicht organisch doch so echt anhört:
„Ich finde das Synthetische daran total interessant. An Menschen finde ich das total uninteressant, an Musik finde ich das total gut. Und wer weiß, wo das alles noch hingeht, es ist ja schon fast alles digital. Außer Liebe. (lacht) Die ist organisch. Hoffentlich.
Meine Musik ist im Grunde auch so gemeint, wie ich zwischenmenschliche Beziehungen gerne hätte: Man gibt zwar was vor, gibt etwas von sich rein, zeigt sich als Mensch, aber lässt genug Raum für den anderen.“
Ich habe mich mit Jenny im Berliner Oberholz getroffen. Danach war ich beflügelt, das ganze Gespräch war sehr intensiv. Es ist mir das erste Mal wirklich schwergefallen, ein Portrait zu texten: man kann Jennifer Touch nicht greifen. Jenny ist eine unglaublich starke Persönlichkeit mit klaren und inspirierenden Ansichten, das Gespräch hat sich weg von elektronischer Musik hin zu Philosophie über zwischenmenschlichen Beziehungen, Liebe, Sex und die Musik im Allgemeinen als Medium entwickelt. Und irgendwie findet man das dann eben doch in ihren Tracks wieder.
Wie bist du auf den Namen Jennifer Touch gekommen?
Ich bin da gar nicht drauf gekommen, das war ein Freund. Während des Studiums sind einige für ein Austauschsemester nach China. Dort haben die sich dann so 80er-Film-Namen ausgedacht, sowas wie Bob Heat, Bonnie Flame. Dann kamen sie zurück und ich war dann eben Jennifer Touch. Zu der Zeit fing ich gerade an, die elektronischen Sachen zu produzieren und habe eben unter diesem Alter Ego weitergemacht, weil es auch passt. Das hat diesen 80er-Flow im Namen, nimmt es ein bisschen aufs Korn, hat sich gut angefühlt. Aber ich heiße nicht Jennifer, ich heiße nur Jenny. (lacht) Osten lässt grüßen.
A propos Osten – du bist nun aus Leipzig weg und nach Berlin gezogen. Wie hast du denn die Leipziger Szene so wahrgenommen, die Clubkultur, das Miteinander?
Ich bin vor allem hergekommen, um aus dem relativ eng gestrickten Leipziger Raum rauszukommen. Es ist natürlich auch gut, das eng Gestrickte, denn du hast die Leute, die Musik machen, nah um dich herum. Ich kenne da viele, die Musik machen, meine Freunde dort machen irgendwie fast alle Musik. Aber mir war das dann irgendwann alles zu begrenzt, und da ich in Berlin ein paar Leute kenne und mit Adam ja auch Musik gemacht habe, bin ich irgendwann zu dem Schluss gekommen - Ich gehe mal nach Berlin, um meinen Fokus zu erweitern und mich in einem weiteren Umfeld zu bewegen, was vielleicht auch andere Musikrichtungen betrifft, damit ich mich ein bisschen ausprobieren kann.
Es ist dort auf jeden Fall sehr familiär, das finde ich schön. Hat aber auch irgendwann seinen Reiz verloren. Man will auch wachsen, also ich will auf jeden Fall wachsen. Deswegen musste ich auch aus Leipzig weg, um Input zu bekommen. Für das, was ich mache, habe ich dort wenig Input bekommen. Ich hab wirklich aus mir geschöpft und aus dem, was man sonst so in seinem sehr persönlichen Kosmos hat. Und hier begegnen einem viel mehr Menschen, eine breitere Musikszene, die natürlich auch mehr auf die Kacke haut. Also hier macht ja jeder irgendwie was ganz Krasses, alle sind total am Start, posten tausend Sachen, das mache ich nicht. Deswegen war Leipzig gut, um so ein gewissen Understatement zu haben, man weiß, man kann mal ganz ruhig bleiben. Ich glaube, das ist das Gute an den Leipziger Musikern, die sind alle so ein bisschen mit sich beschäftigt, sind ruhiger. Das habe ich sehr gemocht. Da konnte man auch mal zum Nachbarn gehen und fragen „Wie geht’n das?“
Ich sehe mich von Leipzig auch nicht abgetrennt, ich sehe die ganze Sache dann doch ortsunabhängig. Ich könnte jetzt auch in London hocken und würde da meine Musik machen. Die würde dann vielleicht wieder ein bisschen anders klingen, ich glaube, Berlin als Stadt macht schon was aus, im Bezug auf das, was man produziert. Und genauso war es eben mit Leipzig.
Wie bist du eigentlich zum Musikmachen gekommen?
Ich habe früher in Bands gesungen, als Backing-Vocalist in Hip-Hop und später in Indie Bands. Damals in Dresden noch. Ein Instrument im klassischen Sinne spielte ich nie. Aber ich stehe auch drauf, das Punkrock-mäßig einfach zu machen und zu probieren, was einem gefällt. Man stellt dann fest, dass man das, was man machen will, auch spielen kann, lustigerweise ist man mächtiger, als man denkt. Ich habe auch nie Gesangsunterricht genommen oder sowas.
Das Band-Ding war mir dann irgendwann zu langweilig, ich war ja nur Sängerin, das war mir dann zu öde. Ich war dann heiß drauf, das alles selbst zu machen und habe angefangen in meinem stillen Kämmerlein zu produzieren, das war so 2009/2010. Dann hatte ich Liveauftritte mit einem Freund zusammen, das war mir aber irgendwann zu anstrengend, Kompromisse und Zeit finden zum Proben. Und jetzt mache ich eben komplett Solo.
Was sind musikalische Einflüsse, was pusht und inspiriert dich?
Kommt darauf an, in welcher Phase ich gerade stecke. So wirklich inspirieren mich dann auch eher einzelne Sounds, so die alten Duran Duran, Depeche Mode und Human League Sachen beispielsweise. Und das höre ich eigentlich auch schon immer. Das läuft eher so aus dem Bauch heraus, ich hab mir nie vorgenommen, da irgendwas zu kopieren. Meistens müssen dass auch ein wenig schiefe Sounds sein, ich mag dieses Durchproduzierte nicht so sehr. Man kann alles toll mischen und dann ist es ganz glossy, aber dann klingt es meiner Meinung nach auch nicht mehr so interessant. Deswegen mag ich die 80er Sachen auch so gerne, weil die einfach ganz andere Mittel hatten und es dadurch auch ein bisschen… beschissener klingt, im positiven Sinne. Gewisse Fehler sind da eben drin oder die Sänger hatten schiefe Stimmen, es war aber eh so überladen, dass das irgendwie gepasst hat. Und heute muss alles perfekt sein, das mag ich gar nicht so gerne. Deswegen orientiere ich mich an aktueller Musik eigentlich gar nicht wirklich. Wobei Techno und alles im weitesten Sinne Elektronische schon auf mich abstrahlt. Oder auch, wie manche Alben anderer Genre komponiert sind.
Du bist ja, wenn ich jetzt richtig rechne, 1980 geboren. Macht das also schon einen starken Einfluss aus?
Auf jeden Fall. Nach der Kinderliedphase, als ich ein bisschen älter war, hat mein Vater mir ein Tape aufgenommen. Da war New Order drauf, Cyndi Lauper und so weiter. Und dann habe ich das erste Mal bewusst wahrgenommen, was Musik eigentlich sein kann. Das waren eben die 80er Sachen. Das lief auch im Radio, und dann natürlich Ostrock. Was man als Kind emotional aufsaugt, trägt man ja irgendwie weiter. Akustisch, in dem Fall. Ich bin eh ein akustischer Mensch, das was ich höre, merke ich mir eher, als das was ich sehe. Dementsprechend hat die 80er Musik natürlich was damit zu tun.
Ich glaube ich hab so'n Kindheits-Nostalgie-Ding am Laufen. Vielleicht hat das jeder, aber bei mir ist das auf jeden Fall schon sehr abgespeichert. Meine Teenie-Zeit war ja dann in den 90ern, da kam dann Nirvana auf, Portishead, the KLF … und das hat mich schon auch umgehauen.
Und mich inspirierten natürlich die Menschen um mich herum. Freunde, Künstler, bildende Künstler, persönliche Situationen. Die fließen ein in die Stimmung.
Nur auf die Musik bezogen oder auch auf die Vocals? Sprich, hast du Lyrics die quasi richtig viel rüber bringen sollen?
Die Lyrics entstehen eigentlich immer während des Musikmachens. Man hat natürlich immer so Phrasen – ich spiele eine Melodie und hab dazu eine Phrase, Text im Kopf, aus mir selber, aus einem Buch. Aber ich bin eigentlich kein „Textmusiker“, ich muss nicht unbedingt was Konkretes, eine Story mitteilen, mir geht es eher um ein Gefühl. Deswegen singe ich auch in Englisch. Die englische Sprache hat eine andere Melodie, kann wie ein Instrument benutzt werden. Da kann man eher Phrasen dreschen, die gar nicht sofort in den Kopf gehen, sondern vielleicht eher im Nachhinein wirken. Es hat schon Sinn, was ich singe, aber das muss man nicht eins zu eins verstehen, weder akustisch noch inhaltlich. Es gibt bei mir so eine Art „Producer-Modus“. Ich singe manchmal einfach irgendwelche Laute ein, dann ergibt das einen Text, der in sich dann wieder Sinn macht. Am Ende ein bisschen dadaistisch. Es kann natürlich vorkommen, dass zwei, drei Sätze schon in meinem Kopf sind, aber im Grunde setze ich mich nicht hin und will einen bestimmten Text vertonen.
Viele Sängerinnen nutzen ihre Stimme meiner Meinung nach zu aufdringlich. Auch wenn die Stimme gut ist, mich nervt das schnell, das will zu viel. Deswegen versuche ich, meine Stimme eher ein bisschen als Instrument zu sehen. Deswegen habe ich bezüglich der Texte im Zusammenhang mit der Musik kein Konzept. Also, wahrscheinlich hat man immer ein inneres Konzept am Laufen. Lebens- Liebes-Dramatik. Aber das schwingt dann nur so mit. Ich würde aber zum Beispiel nicht übers Einkaufen singen.
Das ist alles intuitiv, verfolgt überhaupt keinen Zweck in dem Sinne. Natürlich finde ich es gut, wenn Leute das anhören, mögen, sich davon angesprochen fühlen. Aber ich versuche auch immer, mit den Lyrics und mit der Musik, und wie sie Emotionen transportiert, für denjenigen, der es hört, Luft zu lassen. Ich will nichts aufdrücken. „Ich bin jetzt traurig, das muss traurig klingen.“, „Empfinde dies oder jenes.“
Eine gewisse Melancholie ist aber immer drin.
Okay, wieso das?
Ich finde Synthesizer-Sounds klingen immer irgendwie melancholisch. Es hat immer irgendwas… Weltfremdes. Diese analogen Schlagzeug- oder Gitarrensounds sind mir zu klar, da weiß man meistens schon, über welchen Kanal das reingeht. Bei elektronischer Musik hat man viel mehr Spielraum, finde ich. Ich mag schiefe Synthesizer-Sounds.
Also man weiß beim Spielen oft selber gar nicht, was man gerade macht oder was dabei rauskommt. Ich plane nie vorher, was dabei jetzt entstehen soll. Aber wenn ich dann eine Fährte aufgenommen habe, wird diese auch verfolgt.
Du hast gerade gesagt, es ist für dich auch immer etwas Melancholie dabei, wirkt sich das dann auch so auf dich aus oder pusht es dich auch in eine positive Richtung?
Nee, melancholisch meine ich überhaupt nicht negativ. Auch das was ich mache soll irgendwie pushen. Ich würde nie versuchen, eine ganz konkret traurige Stimmung herzustellen, das würde mich selber auch anekeln. Ich finde es krass, wenn man eine Stimmung eins zu eins umsetzen will. Und wenn die dann auch eins zu eins beim anderen ankommt, das finde ich irgendwie langweilig.
Aber elektronische Musik an sich… vielleicht ist es das: die Mischung aus Harmonien, die man natürlich spielen kann, die irgendwie eine Emotionalität herstellen, und der elektronisch-synthetischen Komponente dabei, die ja doch irgendwie kalt ist. Ich glaube diese Ambivalenz, das Emotionale im Synthetischen interessiert mich.
Das ist das Coole am elektronischen, also digitalen Musikmachen - man kann mit Wenig schon richtig coole Sachen machen. Und das finde ich gut, man braucht nicht viel, um etwas zu erzeugen, was einem selber gefällt. Weniger ist auf jeden Fall mehr. Das ist vielleicht auch ein bisschen mein Prinzip. Wenn ich einen inneren Leitsatz als Musiker habe, dann wäre das, zu wissen, wann es genug ist, also dass ich das Ding dann einfach lasse. Ich lasse den Track drei Wochen liegen, höre ihn immer mal wieder an, aber mache dann nicht ständig was daran.
Also bist du nicht sonderlich perfektionistisch, dass alles genau passen muss?
Kommt darauf an, manche Sachen müssen einfach passen. Ich würde zum Beispiel nie etwas einsingen, das so offensichtlich schief klingt, dass man denkt, es ist irgendwie verpeilt. Aber 'ne leichte Ecke kann es ruhig haben. Und wenn es mit vermeintlich wenig Perfektion gemacht ist, muss es auch sitzen. Es ist auf jeden Fall 'ne Gratwanderung. Die ist spannend und die entdecke ich immer wieder neu. Jede Sache ist anders. Manche sind doch ganz schön geleckt, auch Sachen die ich früher, oder so vor ein / zwei Jahren gemacht habe, finde ich heute fast schon zu eingängig.
Was ist für dich ein gelungener live- Abend?
Wenn ich ins Live-Spielen reinkomme. Also wenn ich so in meiner Welt verschwinde und das Gefühl habe, das kommt auch bei den anderen an. Man köchelt so zusammen an einer Suppe. Da müssen auch nicht 1000 Leute da sein, nicht mal 200. Die Stimmung muss einfach da sein, und wenn es dann pusht, das macht total Spaß.
Es ist schon oft auch 'ne Art Performance, die ich mache, ich spiel hier was oder singe da was ein. Ich studiere die Synthesizer-Harmonien zwar vorher ein, aber das kommt ja live auch jedes Mal ein bisschen anders. In Zukunft will ich es aber noch ein bisschen experimenteller halten. Es ist schon noch alles recht strukturiert und ich will es schaffen, dass der Live-Moment schon noch etwas differenzierter ist.
Ich habe auch angefangen, aufzulegen, was mich sehr begeistert und auf gewisse Weise auch befreit. Immer das rein Persönliche zu zeigen ist schon echt anstrengend. Also ich bin jetzt nicht irgendwie 'ne Kunstfigur oder so. Ich schaffe mir keinen Charakter, ich bin eben so wie ich bin. Und wenn ich scheiße drauf bin, dann fühle ich mich erst mal scheiße, wenn ich anfangen muss, aber das Gute an der Musik ist, dass es mich dann doch immer glücklich macht, auch wenn ich denke es, war vielleicht nicht perfekt. Aber ich könnte nicht jedes Wochenende live spielen, das würde mich wahnsinnig machen, dazu ist es zu anstrengend. Denn sobald du drin bist, ein Gefühl aus dir kommt, bist du so dabei, dass es einfach alles erfordert. Ohne dass das gewollt sein muss. Auflegen ist dann schon eine andere Sache, das macht auf eine andere Weise Spaß. Das geht auch öfter.
Also kann man dich durch deine Musik auch ein Stück weit kennenlernen, da steckt viel von dir drin?
Ich lasse die Musik irgendwann los, die soll dann ihr Ding machen. Ich horte das gar nicht so für mich als persönliche Expression. Es ist dann da, losgelöst von mir. Und deswegen finde ich meine Musik auch gut. Weil ich dabei nicht mich sehe.
Ich schaue mir gerade auch viel an, wie sich Musiker*innen im Netz präsentieren, und das turnt mich meistens voll ab. Es wird so ausgebaut, in diese „Sieh mich an“ – Richtung. Klar, ich zeige auch Fotos von mir und alles hat 'nen gewissen Look. Aber es hat immer etwas mit einer gewissen Distanz, einer gewissen Kühle zu tun. Das finde ich interessanter, als wenn so viel mitschwingt. Das lässt mir selber auch mehr Raum, mich zu entwickeln. Dennoch finde ich es auch gut, wenn man ein gewisses Konzept, eine Idee hat, wie will man auftreten und wie funktioniert die Musik nach außen hin noch besser.
Das ist natürlich ein erster Schritt hin zur Visualisierung, weil ich mich da ja auch selber zeige. Lustigerweise war es da aber ähnlich wie beim Musik machen, irgendwann tritt man einen Schritt von sich weg. Das, was zu sehen ist, bist zwar du, und deine Stimme ist zu hören – aber das bin dann nicht mehr ich. Es ist eher eine Art selbstständige Geschichte, die da läuft. Und wenn es dann für sich funktioniert, das finde ich total cool. Wenn ich als Mensch nicht mehr da reingehen muss und das hinterfrage.
Man muss mich auch gar nicht verstehen. Jeder soll das damit machen, was er will. Und ich finde es auch wirklich schön, wenn es Leute mögen. Ich hoffe, dass ich mich weiterentwickle. Ich nehme das, was ich mache, selber sehr ernst, aber ich muss das nicht mehr so nach außen transportieren. Früher dachte ich immer, ich muss allen mitteilen, dass das, was da gerade läuft, komplett von mir ist, weil natürlich auch Arbeit dahinter steht. Ich will da schon ernst genommen werden, aber ich bin mir mittlerweile einfach sicherer mit dem, was ich mache, dass ich weiß, was funktioniert, und ich weiß, was ich kann und was ich noch lernen möchte, dass ich das gar nicht so nach außen tragen muss. Ich finde es cool, wenn Leute Jennifer Touch entdecken. Und vielleicht ist es in zehn Jahren groß, vielleicht ist es nie groß, ist eigentlich egal, Hauptsache es wächst und wuchert. Dann ist es am Ende doch wieder organisch, ne?
Es schwingt immer auch irgendwie was Sexuelles mit, in den Tracks. Ich finde, Musik ist immer irgendwie sexuell. Wie man mit seinen Vocals arbeitet, da kann man schon 'nen sexuell aufgeladenen Raum schaffen. Manchmal merke ich das erst hinterher, „Krass, das klingt ganz schön sexy“ und das ist lustig, weil ich es gar nicht so gemeint habe.
Am Ende ist Tanzen und Musikmachen auch nur eine Interpretation von Dingen, die man gerade aufnimmt. Wenn du tanzt, interpretierst du die Musik, die du hörst, wenn du Musik machst, interpretierst du deine eigene Welt, die du gerade am Laufen hast. Das ist beim Sex ja im Grunde auch so, du visualisierst in dem Moment ja Gefühle. Für mich gehört das alles zusammen. Musik ist Sex.
Meine Musik ist im Grunde auch so gemeint, wie ich zwischenmenschliche Beziehungen gerne hätte: Wann gibt zwar was vor, gibt etwas von sich rein, zeigt sich als Mensch, aber lässt genug Raum für den anderen. Und das ist vor allem bei Popmusik häufig nicht der Fall. Da ist der Raum komplett mit dem Musiker gefüllt, und mit dem, was gemeint ist. Man kann es einfach nur noch konsumieren. Und ich will als Mensch nicht konsumiert werden, ich will irgendwie entdeckt werden und ich will auch andere Menschen entdecken. Dieses Spiel mit Raum und Fülle, mit Leere und Fülle, das ist glaube ich das, was mir beim Musikmachen durch den Kopf geht, unbewusst. Das finde ich interessant, darüber denke ich gerade auch viel nach. Über Platz nehmen, Platz lassen, wie viel Platz brauche ich.
Das muss Flow haben, es muss sich, wieder dieses schöne Wort, organisch anfühlen. Und wenn man das Gefühl hat, man muss nur Platz lassen, und sich das so angestrengt anfühlt… genau wie bei Musik, die total minimalistisch ist, damit es ja underground und obercool und total krass rüberkommt – das nehme ich auch wieder nicht ernst.
Und oft auch sehr anonym irgendwie.
Genau, ich finde, man sollte sich ruhig trauen, man selbst zu sein, auch wenn es für den ein oder anderen vielleicht zu viel ist. Aber dann muss man auch wissen, andere Menschen sind komplett anders gestrickt, brauchen auch ihr Universum, schweben in anderen Sphären. Man denkt dann doch erschreckend oft, dass alles gleichförmig funktionieren muss. Es gewisse Strukturen gibt, in denen man sich bewegt, sonst funktionieren Beziehungen ja oft nicht. Ich kann eben auch nicht die ganze Zeit zu jemandem „Fuck you“ sagen und erwarten, dass er für mich da ist. Aber am besten, man muss gar nicht groß labern. Und genau so ist es bei der Musik. Man muss gar nicht viel rumsülzen…
Ich bin so froh, dass ich Musik mache.
Wird dir das erst jetzt wieder richtig bewusst?
Ja, ich bin jedes Mal wieder froh, dass ich das mache. Am Ende ist es ja auch eine Art Mut und Wut. Man braucht Mut und etwas heilsame Ignoranz dazu, das einfach nach draußen zu bringen. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, dann kommt man schnell in eine Schleife rein. „Oh Gott, ist das jetzt zu Das oder zu Jenes“ Ich glaube, wenn du Dinge machst, um irgendjemandem zu gefallen oder zu beeindrucken, dann wird’s immer scheiße, Menschen riechen das und können dich nicht richtig sehen. Ob das Musikmachen ist oder ob das das Leben an sich ist. Ein paar Ratschläge von mir (lacht). Nein, ich meine, das sind natürlich auch Erfahrungswerte von mir, weil ich ja auch oft genug Momente und Phasen hatte, in denen ich gerne diesen und jenen Standard erfüllen wollte, vor allem beziehungsmäßig. Das wollte ich aber als Musikerin nie. Das war mein freier Raum, weil ich sonst wirklich viel über mich reflektiere und nachdenke, ob das jetzt alles so stimmt, wie ich bin, ob das alles authentisch ist. Bei der Musik hinterfrage ich gar nicht, ich mache einfach. Das ist dann so, wie es ist. Natürlich gibt es immer Sounds, an denen man feilt, das soll so und so klingen, das sind dann aber wirklich Peanuts. Das Große und Ganze ist so, wie es ist, und so bin ich auch. Und das finde ich bei anderen Leuten auch cool, wenn die sich nicht irgendwie 'nen Harten machen, dauernd irgendwas zu erfüllen. Denn das macht dich überhaupt nicht glücklich. Das ist auf jeden Fall so das, was ich die letzten Monate mitbekommen habe, und das macht mich am Ende frei.
Was denkst du, wie geht es für dich weiter mit dem Musikmachen?
Das Musikmachen hat nie aufgehört, das hat angefangen und lief dann immer so weiter. Ich sehe das auch entspannt, dennoch will ich mich jetzt vor allem zeitlich stärker darauf konzentrieren. Ich will es aber nicht so strapazieren, dass 'ne dicke Karriere daraus werden MUSS. Dann wird die Musik anders, dann verhältst du dich anders, passt dich mehr an bestimmte Strukturen an, damit es funktioniert. Das ist mir alles ein bisschen egal. Wenn ein Deal läuft, halte ich mich natürlich daran, man muss zuverlässig sein. Ich will aber nicht Musik machen, weil es irgendwo reinpassen muss. Aber davon und damit leben zu können, ohne Kompromisse, das wäre großartig, Freiheit, Wahnsinn, Heimat. Und wenn ich dann wieder mal ein Jahr lang weniger Musik mache, dann ist es eben so, aber es wird nicht aufhören. Ich hoffe, dass ich auch in zehn Jahren noch Musik mache. Ich weiß, dass ich in zehn Jahren noch Musik mache. Das Schöne daran ist ja, dass du dir deine eigene Welt bauen kannst. Und es ist cool: wenn ich irgendwann mal nicht mehr da bin, gibt es vielleicht meine Platten noch. Das ist geil.
© Paula Charlotte
