Er sagt von sich selber, er sammle ohne Grenzen: Rukey ist „collector without borders“.Wie schafft man es, einen musikalischen roten Faden zu verfolgen, wenn man eigentlich grenzenlos Musik für seine Zwecke findet, ausprobiert, durchhört?
Irgendwo zwischen Hip-Hop und Techno. Auch das klingt wenig aufschlussreich, will man sich eine Vorstellung davon machen können, was einen in den Sets von Rukey erwartet. Vielleicht ist es schwer, die elektronische Musik, die er macht, einzuordnen. Ein besseres Verständnis bekommt man aber, wenn man sich seinen Werdegang anschaut: Vor zig Jahren hatte er mal einen Freund, der war DJ, mit einer ordentlichen Plattensammlung. Man verbringt Zeit damit, alles durchzuhören, man macht zusammen Musik, übt, wird immer besser. Irgendwann kommt dann der eigene erste Plattenspieler, und dann wird daraus ein Selbstläufer.
Angefangen hat er vor zwanzig Jahren mit Hip-Hop – ein klassischer Battle DJ. Scratching, Juggling, Contests. Man kann es sich gut vorstellen, Streetball, DJ Battles und jeden Sonntag Sendezeit bei Radioblau, während derer er beispielsweise Fettes Brot beim Billard spielen interviewt hat.
Dann wird man älter, das Interesse erweitert sich, man erkennt die Möglichkeiten, die man hat.
Er spielte mehr Triphop, daraus wurde dann mal Downbeat oder Electronica: alles lag noch nah beieinander, aber das Spektrum wurde breiter.
Inzwischen hat er den Blick über den Tellerrand schätzen gelernt, entdeckt immer wieder Neues – und was ihm gefällt, das nutzt er für seine Musik. Je nachdem, wie er den Kontext wahrnimmt, verpackt er seine Tunes anders. Ab und zu wird’s dann zum Beispiel auch schon gerne mal housig. Wenn es passt, mischt er alles, worauf er gerade Lust hat.
„Das mag ich total, so zwischen den Stilen hin- und herzuschwimmen und trotzdem nen roten Faden zu haben.“
Und obwohl er es mag, Stile zu mischen, weiß er doch noch genau, wo seine Wurzeln liegen: im Flow. Rhythmus, Melodie. Das Handling der Platten ist das Gleiche, der Grundgedanke im Sound bleibt: nicht zu straight, es soll einen mitnehmen, aufnehmen. Als würde man sich in die Klänge fallen lassen und einfach treiben.
Seine Sammlung aus Melodien und Songs sieht er ein bisschen wie einen Schrank mit vielen Schubladen. Aber nicht der Ordnung halber, ganz im Gegenteil, weil er gerne mal die unterschiedlichsten Schubladen aufzieht und die Inhalte einfach vermischt.
„Manchmal bin ich in der Stimmung für diese Schublade, dann mache ich mal die Schublade ganz unten auf, manchmal ziehe ich die ganz oben raus und schütte alles in die unten rein und vermische alles.“
Beim Auflegen geht es ihm vor allem darum, dass alle gleichermaßen Spaß an der Sache haben: er selber, sowie das Publikum. Und dass die Leute auch verstehen, was er macht.
Nämlich nicht wahllos Musik, die ihm zusagt, aneinanderreihen. Sondern seinen Horizont anhand seiner Vorlieben erweitern, und das auch ganz gerne mal mit Umwegen, Verzweigungen und Experimenten.
Rukey heißt übrigens, wenn er gerade nicht mit Vinyl hantiert, eigentlich Martin und ist Grafikdesigner und „Marketing- Typ“. Elektronische Musik ist für ihn mehr Business als Lebensgefühl: er war einige Zeit für das Freitagsbooking der Distillery verantwortlich. Jetzt ist er nicht nur Residency in der Tille, sondern macht für den Club derzeit die PR und das Marketing, genauso wie für das Think!-Festival. Papa ist er übrigens auch. Sein Künstlername ist so alt wie seine DJ-Karriere: früher war er in der Leipziger Streetballszene unterwegs und hat ihn dort irgendwann verpasst bekommen.
Im Interview mit EK verrät er, was elektronische Musik für ihn ist, warum ihm feiern gehen nicht so viel Spaß macht wie selber aufzulegen, und wie er die Clubszene Leipzigs und das Miteinander wahrnimmt:
Wie bist du denn zur Musik gekommen?
Also mein Weg zur Musik ist eigentlich ganz klassisch. Damals, vor x tausenden von Jahren, war ein Freund DJ, der hatte 'ne ordentliche Plattensammlung. Ich fand das klasse, hab dann angefangen mit ihm zusammen, zu Hause bei ihm mit seinen Platten zu üben, Musik zu machen. Dann hab ich mir irgendwann meinen eigenen ersten Plattenspieler gekauft, mit Riemenantrieb, und meine ersten eigenen Platten. Das wurde dann immer mehr, dann kam irgendwann die professionelle Technik – also der Riemenantrieb wurde ausgetauscht gegen 'nen ordentlichen Technics mit Direktantrieb, und so nahm das Ding seinen Lauf.
Warum machst du denn eigentlich elektronische Musik? Also warum nicht – Gitarre oder Schlagzeug, und dann jammen? Warum hast du dich entschieden DJ zu werden?
Ich hab Gitarre gespielt! Sehr unerfolgreich. Und Abmixen hat mir einfach mehr Spaß gemacht. Also erstens mal war es saucool. Und zweitens – ja es hat mir einfach Spaß gemacht. Ich meine, warum hat man dieses oder jenes Hobby, warum findet man Eisenbahnplatten cool? Eine Erklärung dafür zu finden... ich spiele ja auch Basketball. Das kann ich ja auch nicht erklären. Mit meiner Körpergröße, da müsste ich eigentlich woanders hin, in eine andere Sportart. (lacht)
„Hip-Hop, Techno – and the musik in between“ – smooth electronica, gentle midtempo, laid-back rhytmic electronic music, ... Klingt vielseitig.
Ist es wirklich so, dass man die Musik schwer einordnen kann? Bzw: Wo ordnest du dich selber ein?
Das ist ein schwieriges Thema, darüber könnte man jetzt glaube ich zwei Tage reden. Ich komme ursprünglich aus dem Hip-Hop. Ich hab mit Hip-Hop angefangen, war ein klassischer Battle-DJ – also harte Scratches, Beatjugglings, DJ-Contests. Irgendwann ist das Interesse, nur diese Musik zu spielen und auch nur diese Musik zu hören, halt einfach 'nem breiteren Spektrum gewichen. Mich interessierte dann Trip-Hop, was natürlich sehr nahe am Hip-Hop ist, aus Trip-Hop wird dann auch ganz schnell mal Downbeat oder Electronica-Grooves. Das ist ja alles... naja nicht alles eine Soße, aber es liegt eben alles sehr nah beieinander.
Ich hab dann irgendwann ein Gespür entwickelt, auch über den Tellerrand des Hip-Hop hinaus zu gucken, und eben auch andere Dinge für mich zu entdecken. Einfach weil sie mir eben auch gefallen haben. Ich hab schon immer Sachen gespielt, die mir gefallen haben. Und wenn mir was gefällt, dann mache ich das halt. Hip-Hop hat mir dann auch nicht mehr so das Ding gegeben, das Interesse ist ein bisschen gewichen, und so driftete das immer mehr in die Electronica-Schiene ab. Jetzt spiele ich auch Deephouse, House, das mache ich schon eine ganze Weile. Aber ich weiß halt immer noch wo ich herkomme, wo meine Wurzeln liegen, und ich mag es, Stile zu mischen.
Das ist wirklich 'n krasses Thema, du kannst ein Deephouse-Stück, was auf 120 bpm läuft, im Club spielen, die Leute tanzen drauf. Du kannst aber auch ein Deephouse-Stück aufgrund deiner Skills und deines Gespürs, wann du den Tune spielst, in 'nen ganz soften Loungecharakter bringen. Je nachdem was du damit machst, wann du es machst, in welchen Kontext du es packst. Und das mag ich total, so zwischen den Stilen hin- und herzuschwimmen und trotzdem 'nen roten Faden zu haben.
Du sagst du kommst immer mal wieder zurück zu deinen Wurzeln - Was sind denn deine Wurzeln?
Ich bin Leipziger, ich bin schon immer hier, hab hier meine Roots. Aber ich meine eher meine musikalischen Wurzeln. Das heißt ich mag Rhythmus, ich mag Melodie, ich mag wenn es flowt. Es muss einen mitnehmen. Ich kann nichts mit straighten 4/4-BumBum-Titeln anfangen, das ist auch cool, aber das ist nicht mein Stil. Ich mag wenn es dich mitnimmt, wenn es dich treibt, wenn coole Samples verarbeitet worden sind. Das meine ich mit Wurzeln – ein gut verarbeitetes Sample, was dem Sound Fläche gibt, wo man sich reinfallen lassen kann.
Zum anderen hat ja jeder Act seinen Stil, wie er mixt – der eine härter, der andere weicher, einer kann eher dies, ein anderer eher jenes, manche können alles. Meine Wurzeln sind eben das Handling, wie ich mit 'ner Platte umgehe, dadurch dass ich aus dem Hip-Hop komme und viele Battles gemacht habe, Scratchen und Cutten und so weiter, das kann ich nicht ablegen. Also wenn ich jetzt zu 'nem Rave auflege, dann ist der Umgang mit der Platte der gleiche wie vor zehn oder fünfzehn Jahren. Und wenn ich Bock habe und besoffen genug bin, dann scratche ich auch nochmal. Ich mache das unauffälliger, aber das meine ich mit Wurzeln: da komme ich nicht von weg. Genauso wie ich meine Turntables hochkant stehen habe. Und jedes Mal, wenn die in 'nem Club quer stehen, denke ich kurz darüber nach „naja stellst du die jetzt noch hochkant“? So alte Angewohnheiten eben.
„Collector without borders“ – was kann man sich darunter vorstellen?
Man kann das ganz einfach übersetzen: ich sammle ohne Grenzen. Also ich lege sehr viel Wert auf Qualität, nicht auf Quantität, das darf man jetzt nicht falsch verstehen. Man sagt ja schnell „man sammelt einfach alles und dann weiß man gar nicht mehr was man alles hat“ – das wäre nicht der Kontext. Der Kontext dieses Slogans soll eher beschreiben, dass ich mir unglaublich viele Sachen anhöre. Ich bin ein totaler Oldie-Fan, ich höre mir Originale an, aber auch gern Edits oder Remixe. Ich höre gern Reggea, Jazz, Trip-Hop, immer noch auch gerne mal Hip-Hop – was ich damit ausdrücken will, mit „Collector without borders“, ist, dass ich quasi nicht eine Schublade aufmache, den Musikstil xy reinpacke und in dem bewege ich mich. Sondern ich habe viele „Schubladen“. Manchmal bin ich in der Stimmung für diese Schublade, dann mache ich mal die Schublade ganz unten auf, manchmal ziehe ich die ganz oben raus und schütte alles in die unten rein und vermische alles.
Was ist elektronische Musik für dich persönlich und warum machst du es schon so lange?
Also warum ich es schon so lange mache: es macht einfach Spaß.
Und für mich ist elektronische Musik grundsätzlich erst mal alles, was nicht analog hergestellt ist. Also ein klassischer Tune mit digitalen Hilfsmitteln. Und sonst, für mich selber, ist es alles, was sich zwischen Downbeat und Techhouse bewegt. – Alles was digital hergestellt wird und auch in dieser Zeit entstanden ist. Ich glaube zum Beispiel Harold Faltermeyer, der das Theme für Beverly Hills Cop gemacht hat, das ist im Endeffekt auch elektronische Musik, so mit dem Synthie-Board. Für mich ist es aber schon zu alt, um es in diese heutige elektronische Musik reinzusetzen. Trip-Hop, Uptempo, Drum’n’bass ist für mich alles elektronischer Musik. Ich glaube für die meisten ist es House, Techno, Techhouse. Im Umgang ist es das auch aber eigentlich gehört noch ein bisschen mehr dazu.
Was ist für dich ein gelungener Abend hinter dem DJ-Desk?
Also absolut gelungen ist es, wenn ich keinen einzigen Übergang versaue. Was das angeht, auch wenn ich Podcasts mache, oder Studiomixe, hab ich einen sehr hohen Anspruch. Ich krieg die absolute Krise, wenn ich 'nen Übergang richtig versemmel. Ich beneide manch andere, die sich dann hinstellen und sagen „Naja ist halt so, hat eh keiner mitbekommen“ – mich zieht das dann runter, ich will dass das perfekt wird. Bei 'nem Gig ist es nochmal ein bisschen anders, da kann man sich davon nicht so runterziehen lassen, da muss man nicht so perfektionistisch sein.
Aber ein gelungener Abend ist für mich, wenn die Technik nicht versagt – wenn die Platte nicht springt, das Effektgerät nicht kaputtgeht, ich nicht aus Versehen einen falschen Knopf drücke (was auch schon vorgekommen ist). Wenn alles perfekt ist. Der Sound ist cool, die Anlage klingt ordentlich, die Leute gehen ab – es kommt gar nicht darauf an ob es voll ist. Vorrangig ist, dass die Leute Spaß an dem haben was du machst, dass sie verstehen, was du machst. Die Technik macht mit, und wenn dann noch jeder Übergang geil war – das ist dann der perfekte Abend.
Hattest du schon mal einen Abend, bei dem wirklich was schief ging?
Oh ja, den hatte ich. Um ehrlich zu sein, sogar nicht nur einen. Mir fallen da sofort so Sachen ein wie die falsche Platte von Plattenspieler zu nehmen, weil man total euphorisch schon im nächsten Tune steckt obwohl die andere ja gerade noch läuft. Oder über Kopfhörer die nächsten Tunes auszuwählen und anzugleichen, aber nicht merken, dass beide Kanäle offen sind - demzufolge kann das "draußen" jeder mithören. Zugegeben, dass sind keine Super Worst Case Dinge, aber extrem peinlich und demotivierend in dem Moment. Zum Glück hat das Publikum das immer mit viel Humor aufgenommen und jeder DJ den ich kenne hat genau dieselben Anekdoten drauf. Ein richtig echtes Worst Case, wie zum Beispiel ein totaler Technikausfall, Plattentasche geklaut oder Cuba Libre über'n Mixer gießen habe ich persönlich zum Glück noch nie erlebt.
Wie nimmst du die Clubszene in Leipzig wahr? Selber, beim Feiern, als DJ, bei deinem Job in der Distillery?
Die Clublandschaft in Leipzig ist natürlich aufgrund der Szenerie der Stadt und den verschiedenen Musikstilen, oder den verschiedenen „Crews“ extrem groß und weit gefächert. Es gibt natürlich die etablierten Clubs, die vermeintlichen Underground-Clubs, die ganzen kleineren Veranstaltungen, Partyreihen – es gibt so einen Haufen Zeug hier in Leipzig, davon ist nicht alles gut, das ist normal – mich findet auch nicht jeder gut, das ist auch normal – aber die Vielfalt ist schon enorm.
Die Zusammenarbeit zwischen den Einzelnen.. Es gibt so ein paar Läden, Booker, wenn die schon seit Jahren da sind, sind sie natürlich alle vernetzt und kennen sich alle, aber mein persönlicher Eindruck oder meine Erfahrung ist eher, dass die Vernetzung früher stärker und enger war als sie jetzt ist. Das ist auch völlig okay, das ist der Lauf der Zeit. Früher war die Szene kleiner, es gab wenige Leute, die viel gemacht haben. Jetzt gibt es viele Leute, die noch viel mehr machen. Es ist alles größer geworden, man kann nicht mit allen Leuten Kontakt halten. Momentan macht nach meinem Eindruck eher jeder so sein eigenes Ding, früher war das halt etwas enger gesteckt. Trotzdem kennt sich die Szene und eigentlich jeder jeden, und man ist cool miteinander. Das jeder Seins macht ist auch völlig okay, denn jeder hat ja nen anderen Anspruch oder ein anderes Interesse.
Wie ist es denn, gehst du selber auch feiern, und was ist dann das, was dich bewegt? Macht dir das genauso viel Spaß, wie selber aufzulegen?
Nö. (lacht) Aber das ist glaube ich auch ganz normal. Wenn jemand selber DJ ist, selber Musik macht, ob der nun ein Instrument spielt, oder DJ ist oder Produzent oder beides oder alles - wenn man auf 'ne Party geht und da in der tanzenden Menge steht und der Act feuert den Floor ab, dann will man eigentlich lieber selber dort stehen. Ich für meinen Teil bin gar nicht mehr jedes Wochenende irgendwo unterwegs, das schaffe ich arbeitstechnisch gar nicht – ich bin ja nicht DJ als Beruf, ich verdiene damit nicht meinen Lebensunterhalt. Und wenn ich irgendwo bin dann eben doch meistens als DJ. Ich mache jetzt Musik seit 1996, war viele Wochenenden unterwegs und gut ausgebucht, irgendwann geht man nicht mehr jedes Wochenende weg. Ich möchte, dass es für mich immer noch was Besonderes bleibt. Meistens eben wenn ich spiele. Ich komme dann auch eher und gehe später, ich gehe nicht hin, spiele, und haue wieder ab, aber privat irgendwo hinzugehen, das mache ich nur ganz ausgewählt.
Getroffen habe ich Martin im Lulu Lottenstein zum Mittagessen. Abgesehen davon, dass ein Mikro das Gespräch aufgezeichnet hat, war die Atmosphäre entspannt und leger. Nach gut zwanzig Jahren DJ-Dasein antwortet er immer noch so ausführlich und auf Augenhöhe, dass noch nach dem eigentlichen Interview ein nettes Gespräch über Social Media, analoges Radiomachen und Clubbing in Leipzig entstand. Man merkt, dass er inzwischen in seiner Routine angekommen ist, seine Leidenschaft trotzdem nach wie vor im Sammeln und Mixen von Musik findet und seinen Wurzeln treu bleibt, eine sehr angenehme Mischung.
© Paula Charlotte
